Vier notwendigen Strategien zur nachhaltigen Transformation der Luftfahrt

 

Thesen:

 

1. Die Wissenschaft hat den menschengemachten Klimawandel, die Simulation seines Verlaufs, sowie mögliche lokale und globale Folgen umfassend beschrieben und zunehmend einen zivilgesellschaftlichen Diskurs ausgelöst, der an Dringlichkeit zunimmt.

 

2. Die Politik hat die Notwendigkeit einer Transformation unserer Gesellschaften zu mehr „Nachhaltigkeit“ aller Gesellschaftsbereiche erkannt und Zielvorgaben festgeschrieben: international (Pariser Klimaabkommen) und diese europäisch (Green Deal) und national durch (ordnungspolitische) Maßnahmen und Förderprogramme untermauert: Es gilt auch für das Gesamtverkehrssystem, normativ (Co2 und klima-neutral)  bzw. pragmatisch (Co2-ärmer und klimafreundlicher) zu werden.

 

3. Unsere Aufgabe ist es, unsere Fachexpertise für die Luftfahrt einzubringen, um den politischen Diskurs für unseren Tätigkeitsbereich zu präzisieren und konkrete Zwischenschritte in Form von realistischen Projekten mitzugestalten.

 

4. Der Begriff der Nachhaltigkeit des Verkehrssystems impliziert den seiner Resilienz, denn der Klimawandel nötigt uns zu einer Doppelstrategie.

Einerseits gilt es den Verlauf des Klimawandels durch CO2- Neutralität des Gesamtverkehrssystems abzuschwächen mit der Hoffnung ihn mit aufzuhalten. Andererseits muss das Verkehrssystem resilienter werden, um den vorhergesagten und schon sichtbaren Phänomenen des Klimawandels, wie Extremwetterlagen (Stürme, Überschwemmungen, Waldbrände) und Pandemien zu widerstehen.

 

5. Die Strategie der Emissionsreduktion (A) setzt für uns zum einen auf technologische Innovationen im Bereich neuer Luftfahrzeuge, Antriebstechnologien und synthetische Kraftstoffe, sowie deren Konfiguration. Zum anderen auf die nachhaltige Optimierung von Airports, Flugruten und Services, sowie auf eine weitere Vernetzung mit andern Verkehrsträgern, um letztlich die „Haus -zu -Haus“-Mobilität schnell und klimafreundlich zu ermöglichen (Digitalisierung).

 

6. Zur Handlungsfähigkeit unseres demokratischen Staates auch in Krisen gehören vier Grundvoraussetzungen, die unverzichtbar (systemrelevant) sind: die Institutionen der politischen Entscheidungsfindung, zuverlässige Informationsmedien, Strukturen zur Aufrechterhaltung des staatlichen Gewaltmonopols, sowie resiliente und schneller Transportmittel. Letztere müssen den Transport von Personen, Waren und Dienstleistungen von jeder Region in jede andere sicherstellen. Dabei kommt dem dezentralen Luftverkehr eine Schlüsselrolle zu.

 

7. Eine Resilienz-Strategie (B)  benötigt einen systemischen Ansatz, der die Funktionstüchtigkeit des Gesamtverkehrssystems in den unterschiedlichen Krisenszenarien thematisiert, um unter anderem seine Systemarchitektur mit alternativen Verkehrslösungen zu ergänzen, sowie eine gewisse flexible krisenspezifische Arbeitsteilung zu ermöglichen. Auch über neue, pandemietaugliche Geschäftsmodelle in der Luftfahrt sollte nachgedacht werden.

 

8. Gleich wichtig sind die zwei Umsetzungsstrategien:

Zum einen benötigen wir eine Übergangsstrategie (C), die kontinuierliche CO2-Einsparungen vorsieht, um den Zeitraum bis zum Einsatz neuer klimaneutraler Technik zu überbrücken. Auch gilt es weitere Möglichkeiten „grünen Energie“ auf Flughäfen/-plätzen zu produzieren und CO2-Kompensationsmöglichkeiten zu erschließen.

Zum anderen brauchen wir eine Implementierungsstrategie (D), die die Einführung technischer Neuerungen in den Markt (Preise und Infrastruktur) unterstützt. Somit wird staatliches Handeln am Anfang und am Ende einer Transformation in besonderer Weise benötigt.

 

9. Zur Demonstration und Weiterentwicklung neuer Technologien, ihrer wechselseitigen Integration und Synergien sollte eine Teststrecke im Realbetrieb im Bereich des dezentralen Luftverkehrs angestrebt werden. Ein Metro-Modell wie der angedachte Öffentliche-Personen-Schnellverkehr (ÖPSV) scheint dafür geeignet.

 

 

Zur Strategie der Emissionsreduktion (A):

Es ist leicht nachvollziehbar, dass der dezentrale Luftverkehr im Transformationsprozess zu einer nachhaltigeren Luftfahrt eine Vorreiterrolle übernehmen kann, denn technische Innovationen sowohl bei den Flugzeugen, den Antrieben und einem synthetischen Kraftstoff sind schneller und kostengünstiger umsetzbar. Im Rahmen eines vom BMWI geförderten Projekts laufen bereits die Vorbereitungen für einen Demonstrationsflug mit zertifiziertem synthetischem PtL-Kraftstoff von Mannheim nach Schönhagen (eine mögliche Weltpremiere).  Außerdem bietet sich die Vielzahl der Flughäfen/-plätze als Versuchs- und Testareal für CO²- Einsparungen, „Grüne Energiegewinnung“, Kompensationsmaßnahmen, sowie für Demonstrationsmodelle des „Green Airports“, oder pandemietauglicher Service usw. an.

Um Vorurteilen entgegenzutreten: wir sind der Überzeugung, dass mittelfristig der Linienflug im dezentralen Luftverkehr der nachhaltigste Verkehrsträger werden kann, weil er, gegenüber den Landverkehren, nur geringe „Altlastenden“ der Bodeninfrastruktur kompensieren muss.  

                     

 

Zur Resilienz–Strategie (B):

Zu einer Resilienz-Strategie für das Gesamtverkehrssystem sind aus unserer Sicht, sowohl interdisziplinäre Forschungen als auch ein KI-basiertes realitätsnahes Simulationsmodell erforderlich. Wir sehen im dezentralen Luftverkehr eine systemrelevante Basis-Resilienz im hoheitlichen Interesse.

Wir wünschen uns Analysen von möglichen Leistungen des dezentralen Luftverkehrs in den verschieden Krisenszenarien, vielleicht auch im Gespräch mit dem Bundesamt für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz (BBK) beim Innenministerium.

Einige elementare Einsichten als Gesprächsangebot:

-          Es sollte für keine Destination alternativlose Verkehrsverbindungen geben

-          Aus verkehrspolitischer Sicht brauchen sowohl die Bundeshauptstadt als auch alle Metropolregionen Flughafensysteme

-          Eine Kooperation von Großflughäfen und nahegelegenen Flughäfen des dezentralen Luftverkehrs biete eine höhere Flexibilität und andere Synergien nicht nur im Krisenmodus

 

 

Zur Übergangsstrategie (C):

Aus der Palette möglicher Mobilitätskonzepte einer nachhaltigen Zukunft des dezentralen Luftverkehrs, skizzieren wir hier kurz unser Projekt des ÖPSV.

Es handelt sich um ein Air-Metrosystem mit festen Abflug- und Umsteigezeiten.

Seine Systemarchitektur wird stabilisiert, durch Beteiligung und Mitgliedschaft der betroffenen Flughäfen und der lokalen Industrie an der Betreibergesellschaft. Das reduziert zugleich die Kosten, durch eine indirekte Einsparung von Start-, Lande- und Abstellkosten, die an die Passagiere weitergegeben werden können. (Ein Nebeneffekt ist der Erhalt von Flughäfen in der erodierenden Flughafenlandschaft.)

Ein CO²- Reduktionskonzept durch die stufenweise Nutzung zunächst von synthetischem Kraftstoff der 1.Generation (Bio-Kerosin) über dezentral produziertem PtL bis hin zu Wasserstoff und der Entwicklung der Airports nach dem Maßstäben von „Green Airports der EU“, lässt ein Einsparpotential von 8% CO² jährlich (von der konkreten Ausgangssituation des Projektes) als realistisch erscheinen.

Am Ende der sogenannten “Übergangszeit“ mit vorhandenem Fluggerät, steht die Nutzung von Hybrid-elektrischen Flugzeugen mit einer Platzkapazität unter 100 Sitzen, wie sie von Airbus für 2035 annonciert wurde. 

Verschiedene Möglichkeiten einer zu entwickelnden Systemarchitektur sind im Gespräch. Sie sollen zum einen sogenannte Ankerstädte und andere Großstädte metropolferner Regionen untereinander und mit den Metropolregionen verbinden, um so den Urbanisierungsprozess abzumildern.

(Ach lassen sich nur so die EU-Ziele bis 2050 erreichen: 80% der EU-Bürger sollen in 4 Stunden an jedes europäischen Ziel gelangen können.)

Dazu kommen eine Vielzahl von Service-Innovationen (Remote-Tower-Konzept; handgepäckloses (außer Laptop und Handy) Fliegen; schnelle Sicherheitskontrollen durch Gesichts- und Stimmerkennung; pandemietaugliches Zugangskonzept: „OP-Luft ohne Körperkontakt“ und anderes mehr), die angedacht sind.

 

 

Zu den Implementierungsstrategien (D):

Hier konzentrieren wir uns zunächst auf das Power-to-Liquid (PtL)-Projekt.

Unserer Auffassung nach sollte der synthetische Kraftstoff dort produziert werden, wo er unmittelbar eingesetzt werden kann, d.h. dezentral. Gerade die in Deutschland entwickelten Technologien sind weltweit führend und erlauben eine beliebige Skalierung der Anlagengröße ohne wesentliche Verluste beim Wirkungsgrad. Die Verwendung von Zusatz (blend) bis zu 50% ist schon heute zulässig. Erste Demonstrationsobjekte werden inzwischen mit staatlicher Unterstützung gebaut. Da der Liter Kraftstoff nur mit einem niedrigen Strompreis bei der Produktion marktnahe darstellbar ist, sollten Steuererlasse bei der Produktion in „Insellage“ (auf dem Flugplatz), sowie ein geringfügiger Zuschuss erwogen werden. Dann könnte PtL zeitnah zuerst in der Bedarfsfliegerei und beim hoheitlichen Flugbetrieb (z.B. Polizei) zum Einsatz kommen, da der Preisunterschied dort minimal ist.

 

Berlin, am 18.09.2020   IDRF/GBAA

 

Artikel: Ulrich Stockmann